Es gab eine Zeit, in der ich für das Veranstaltungshaus “Heimat” auf der Freiheit fotografiert habe. Während der Vorstellungen schnackte ich oft mit Mario Hoff über alle möglichen Themen und irgendwann schlug er mir vor, mal über die “wilden 60er Jahre” in Schleswig zu recherchieren und darüber einen kurzen Artikel für sein Programmheft zu schreiben. Bis dahin dachte ich, die Musikszene spielte sich in den 60er Jahren hauptsächlich im Lido in der Schleihalle ab. Die Bedeutung der Stampfmühle und des Hotels Hohenzollern kristallisierte sich erst im Laufe der Nachforschungen heraus.
Ich fing an zu recherchieren und einige Zeitzeugen konnte ich auch persönlich befragen, was denn in den 50er und 60er Jahren in Schleswig “in” war bei den Jugendlichen. Unvergessen bleiben die interessanten Gespräche mit Larry von den Beatniks und Uwe Lüth vom Hotel Hohenzollern.
Das Ergebnis ist dieser kleine Artikel, der auch im Programmheft der Heimat des Jahres 2016 veröffentlicht wurde. Vielen Dank an alle, die mit Ihren Erinnerungen und Fotos ihren Beitrag geleistet haben.
Gab es überhaupt so etwas wie die „wilden 60er Jahre“ in der konservativen Schleistadt? War die berühmte Schleihalle der einzige Unterhaltungsort für die Region Schleswig? Ich begebe mich auf die Spurensuche und bin sehr überrascht, wie vielfältig und umfangreich die Musikveranstaltungen in der Zeit Mitte bis Ende der 1960er Jahre auch in Schleswig war.
Tauchen wir einfach ein in das Jahr 1964, zu jener Zeit gab es mehrere Lokalitäten, in denen die Besucher mit Livemusik unterhalten wurden – der Deutsche Hof, das Theatercafé, die Schleihalle mit dem Lido, das Hotel Skandia, das Ballhaus Hohenzollern, das Prinzenpalais mit dem Jazzkeller, Café Eden sowie die Stampfmühle.
Die Stampfmühle war schon seit den 1950er Jahren der Treffpunkt für die Jugendlichen, es wurde in den Nachkriegsjahren Jazz- und Tanzmusik gespielt. Mit Beginn der Beat-Ära war die Stampfmühle das „In-Lokal“ für Musik liebende Schüler und Jugendliche.
Gruppen wie die Twist- und Showband The Vampires, der farbige Schallplattenstar Dary Jones (USA), The Tommyguns und the Rakets, beide Bands aus Skandinavien, sowie die Schleswiger Beats hatten in der Stampfmühle ihre Auftritte.
Insbesondere indonesische Gruppen traten dort auf, diese hatten einen ganz eigenen Rhythmus, der die wie Pilze aus dem Boden schießenden Beat-Bands stark beeinflusste, erinnert sich Larry Woggan von den Beatniks, die aus der ersten Schleswiger Beat-Bands namens „The Beats“ hervorgegangen sind.
Eine Großveranstaltung jener Jahre war der „Beat der Nationen“, der 1965 auch unsere beschauliche Schleistadt erreichte. Wolfgang Janke war mit seiner Kamera unter den Jugendlichen, die am 28. Oktober 1965 an dem Beatabend der „musik parade“ im Ballhaus Hohenzollern teilnahmen. Die „musik parade, damals Europas größte Musikzeitschrift“, veranstaltete den „Beat der Nationen“ bundesweit, so z.B. auch im Deutschen Haus in Flensburg.
Mit dabei waren The Lords aus Berlin, The Fireballs aus der Schweiz, The Big Six aus Schottland mit der Sängerin Barry St. John sowie Tony Sheridan mit seiner sensationellen Show.
In einem Nachbericht über den „Beat der Nationen“ in der konservativen Schleswiger Tageszeitung hieß es, dass das Publikum nicht zum Überschwank neigte, die Jugendlichen saßen eher ruhig auf den Stühlen, vorzugsweise auf den Sesseln im Randbereich des Saales – „denn Beater mögen es bequem.“ Die Mädchen waren adrett gekleidet, anstatt „Pilzköpfe“ trugen sie „lange Haare mit Stirnfransen.“ Unter den Jungs waren nur einige „Extreme wie die karierte Mütze zur Windjacke“ anzutreffen.
Ohnehin spielte das Ballhaus Hohenzollen eine bedeutende Rolle für die Jugend. Obwohl die moderne Twist- und Beatszene nicht zu dem eher konsevativen Publikum des Hauses passte, führte der Kreisjugendring in den Jahren 1964 bis 1968 unzählig viele Musikveranstaltungen in dem großen Saal des Hotels durch.
Immer sonntags zwischen 16 Uhr und 21 Uhr lud der Kreisjugendring zu Livekonzerten ein. Bei diesem Tanztee traten neben heimischen Gruppen auch internationale Bands auf. Organisiert wurden diese Musikveranstaltungen unter anderem von dem Domschullehrer Dr. Helge Deutrich, der zusammen mit seinem Kollegen Lohmann auch die erste LP (The World Of The Young) der Beatniks produzierte.
Es ist schier unmöglich, alle Bands der Kreisjugendring-Veranstaltungen aufzuzählen. Erinnern wollen wir uns an The Gourmands, die bei einem Beat-Talentwettbewerb in der Kieler Ostseehalle 1966 vor ca. 4400 Zuhörern spielten und unter 18 Bands den zweiten Platz erreichten.
Die Siegergruppe waren The Chimes of Freedom. Der Manager der Lords wurde dort auf diese Band aufmerksam und regte an, eine Gruppe zu formieren, die, als Kontrastprogramm zum damaligen englischsprachigen Beat-Einerlei, mit deutschen Songs und deutschen Texten auftreten sollte.
Mit Jürgen Drews (The Monkeys) als singender Solo-Gitarrist wurde aus den Chimes of Freedom die Band Die Anderen. Bei dem ZDF-Nachwuchswettbewerb „Show Chance 67“ gingen Die Anderen im Herbst 1967 als Sieger hervor.
Anfang 1967 traten Die Anderen in einer Großveranstaltung im Hohenzollern auf. Lohmann und Deutrich engagierten eine endlos lange Liste auch von internationalen Bands, darunter Lee Curtis and the All-Stars (Liverpool), The Yarows (Dänemark), The Secrets, The Lords, The Anthony Jackson Group, The Thrice Mice (Hamburger Star Club), The Bulls Eye (Skandinavien), The Five Times (Starpalast Kiel), The Mama´s Betty Band, The Phantom Brothers.
Auch die Schleswiger Beat-Band The Handsome Five, die aus den Cadillacs hervorgegangen ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Burghard Schaper, Bandmitglied von einst, erinnert sich: „Wir haben in der Zeit viel Musik gemacht, zunächst als Cadillacs. Dann gab es Ärger in der Schule und ich durfte nicht mehr spielen, d.h. Der Schulleiter wollte den Namen unserer Band auf keinem Plakat mehr sehen, also gaben wir uns einen neuen Namen – The Handsome Five.
Bekanntestes Mitglied der Handsome Five war Klaus Büchner, der ab 1977 mit der Gruppe Torfrock Karriere machte. 1980 lernte er Klaus Baumgart kennen. Als Duo „Klaus & Klaus“ waren die beiden sehr erfolgreich.
Ihre Deutschlandtournee führte The Hep Stars aus Schweden im Januar 1966 ins Hohenzollern. Sie begeisterten die Jugendlichen, die diesen „Beat- und Show“-Abend besuchten, mit dem „härtesten Beat des Jahres“. Kaum jemand dürfte seinerzeit erahnt haben, welchen internationalen Erfolg der Keyborder Benny Andersson später erreichen sollte.
Auf der letzten Hep Stars Tournee lernte Benny Andersson die Musiker Björn Ulvaeus und Anni-Frid Lyngstad kennen. Sie begründeten die Keimzelle der zu Weltruhm erlangten Popgruppe ABBA.
Im Dezember 1967 gewannen die Schleswiger Beatniks einen Amateur Beat Band Wettbewerb des Saarländischen Rundfunks. Rund 700 Bands hatten sich beworben; in der Saarlandhalle in Saarbrücken spielten die Beatniks vor etwa 8000 Besuchern und erzielten den ersten Platz.
Die „wilden 60er Jahre“ verliefen in Schleswig aber gar nicht so wild, wie man es vermuten möchte. Die Musikdarbietungen im Hohenzollern liefen sehr gesittet ab. Inhaber Uwe Lüth erinnert sich: „ Alkohol wurde bei diesen Veranstaltungen nicht ausgeschenkt. Wer bereits volljährig war, durfte sich an der Bar ein Bier kaufen. Im übrigen kannten wir unsere Pappenheimer, auf die wir ein Auge hatten.“