Dieser Bericht gibt einen Einblick in das Nachtleben und dem ältesten Gewerbe der Welt in unserer Schleistadt.
Eine historische Aufzeichnung, die ersten Aufschluss über dieses Thema gibt, ist das „Kassabuch der öffentlichen Mädchen“ aus der Zeit von 1872 bis 1904. In diesem Buch ist verzeichnet, welchen Betrag diese Mädchen auf ein besonderes Konto eingezahlt haben, damit sie krankenversichert sind. Durchschnittlich ein halbes Dutzend Frauen werden in dem Kassabuch genannt. Marie Boysen ist eine dieser Frauen. Sie arbeitete als „Gehülfin an der Irrenanstalt“ und wohnte in dem Anstaltsgebäude Stadtfeld Nr.28. Das war jedoch die offizielle Anschrift der Irrenanstalt. Offensichtlich hat die Dame ihr Einkommen mit gewerbsmäßiger Unzucht, wie es im Amtsdeutsch hieß, aufgebessert.
Ein klassisches Bordell hat es in dieser Stadt bis in die 1960er Jahre hinein nicht gegeben, einen Straßenstrich gab es zu keinem Zeitpunkt. Mit dem Bau des Seefliegerhorstes ab 1935 auf der Freiheit und der Stationierung der Soldaten hätte Schleswig fast sein erstes „amtliches“ Bordell bekommen. Um die Bedürfnisse der jungen Männer nicht unkontrolliert ausarten zu lassen und um die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten zu unterbinden, gab es seitens der Stadt in Zusammenwirken mit dem Standortarzt des Seefliegerhorstes vorübergehend Pläne, ein “Pensionshaus” zu errichten. Etwas außerhalb der Stadt gelegen sollten in diesem Etablissement die Soldaten ihre persönlichen Bedürfnisse befriedigen. Der Standortälteste teilte der Stadt jedoch mit, dass seine Soldaten so ein Haus nicht in Uniform betreten dürfen, von daher sei das Standortkommando an dieser Angelegenheit nicht weiter interessiert. Die Beigeordneten hatten dem Bürgermeister ebenfalls empfohlen, von diesen Plänen Abstand zu nehmen.
Dass es in Schleswig einen Bedarf an derartigen Einrichtungen gab, scheint sich damals herumgesprochen zu haben. Geschäftsleute, die in anderen Städten Bordelle betrieben, versuchten ab 1936 von der Stadt die Erlaubnis zu bekommen, auch in Schleswig ein solches Haus zu eröffnen – aber immer ohne Erfolg. Beispielsweise plante der Unternehmer Meyer aus Lübeck 1937 an der St.-Jürgener gegenüber der Landesheilanstalt Stadtfeld die Einrichtung eines Bordells, zum großen Unmut des Direktors der Anstalt, der eine Beeinträchtigung des Anstaltsbetriebes befürchtete. Bürgermeister von Baselli lehnte diesen Standort ab, ebenso wie am Hesterberg oder am Kleinen Baumhof. Schließlich sprachen sich die Beigeordneten im Oktober 37 erneut gegen die Ansiedlung eines Bordells in Schleswig aus.
Das Maxim
Das recht übersichtliche Nachtleben begann erst Anfang der 60er Jahre. In der Schubystraße 1 eröffnete 1961 die erste Nachtbar der Stadt, das MAXIM. Die Einrichtung war typisch für einen Puff – in rot gehalten und gemütlich. Hier konnten die Besucher zusammen mit der Dame ihrer Wahl ein „gewerbliches Zimmer“ mieten oder sich in einem kleinen Nebenraum Sexfilmchen („Filme mit Striptease“) anschauen, die von einem Super 8 – Projektor an die Leinwand geworfen wurden. Im MAXIM traf sich die „Lokalprominenz“ – Geschäftsleute, Lokalpolitker, Handwerker u.v.a. „Manches Mal mochte man gar nicht mit einem Mädchen aufs Zimmer gehen, da zu viele bekannte Gesichter im Haus waren – so verweilte man an der Bar und unterhielt sich“, erinnert sich ein damaliger Gast.
Etwa sechs Frauen, die eigenständig waren und keinen Zuhälter hatten, wohnten im Maxime und boten dort ihre Dienstleistungen an. Sie kehrten in ihrer Freizeit regelmäßig in die Gaststätte „Zur Kleinen Börse“ in der Michaelisstraße ein. Erst gab es Kaffe und Kuchen, danach Asbach, Bacardi und Cola. Die Damen waren recht trinkfest, erinnert sich die Wirtin Karin Dose, die später das „Kiek in“ gekauft hat. Auch das Kiek in de Stadt hatte später eine enge Bindung zum Maxim. Wir haben oft Essen ins Maxim geliefert, oder die Frauen kamen zum Essen herüber ins Kiek in de Stadt. Das Verhältnis zwischen beiden Lokalitäten war sehr locker und freundlich, so Karin Dose.
Bei einer Feier des Sparclubs im Kiek in de Stadt waren auch einigen Mädchen aus dem Maxim anwesend. Zu später Stunde bildeten die Gäste eine Polonaise und marschierten von dem Kiek in de Stadt die Michaelisstraße hinauf, durch das Maxim und wieder zurück.
Die stadtbekannteste Prostituierte war seinerzeit die dunkelhäutige Dolly. Sie gehörte von Anfang an zum Maxim und arbeitete später noch als über 60 jährige in der Bar „Mon Ami II“. Während es im Maxim häufig neue Frauen gab, blieb Dolly dort wohnen und gehörte schon zum Inventar. Sie war nicht nur stadtbekannt, sondern auch sehr diskret. Auf der Straße grüßte sie grundsätzlich niemanden ihrer Kunden, sie war sehr zurückhaltend.
Das Maxim war sehr bekannt
Im August 1984 stellt die Sex-Zeitschrift “sexy” das Maxim ihren Lesern vor. “Ins Maxim schlüpft man hinein und fühlt sich wohl”- so titulierte die Zeitschrift. Die Geschäftsführerin des Hauses, “Sabinchen”, hatte mit ihren 23 Jahren alles im Griff. Das Maxim war mehr als ein Bordell, es war ein Pub, in dem alles sehr familiär zuging. Dunja (21), Betty aus Ghana oder Dolly aus Guadalupe kümmerten sich ab 70 DM um die persönlichen Bedürfnisse ihrer Kunden. Für eine Nacht musste der Gast 300 DM bezahlen – zzgl. Extrawünsche. Zu den Kunden gehörten neben Bundeswehrsoldaten auch Mitglieder der Feuerwehr – so heißt es in dem Artikel. Viele Gäste besuchten das Maxim auch nur, um ein Bier zu trinken. Das Fazit der “Fachzeitschrift” lautete, dass das Amüsierlokal in der Provinz mit zivilen Preisen und knackigen Girls den sexdurstigen Mann zu erotischen Landpartien einlädt.
Aus “Kiek in de Stadt” wird “Mon Ami II”
Ende der 80er Jahre wurde, nach einem Eigentümerwechsel, aus dem MAXIM das MON AMI II, ebenfalls eine Bar mit gewerblicher Zimmervermietung. 1995 zog das MON AMI II in das ehemalige Restaurant Kiek in de Stadt in der Michaelisstraße 60. Die Einrichtung wurde von der Gastwirtschaft übernommen und so blieb das Ambiente ländlich-rustikal. Bis Ende der 90er Jahre boten dort etwa 12 Frauen ihre erotischen Dienstleistungen an.
Bikini-Bar
Relativ unbekannt blieb die „Bikini-Bar“, die im Januar 1968 in den Räumlichkeiten der ehemaligen Allee-Halle in der Bismarckstraße eingerichtet wurde. Dieses Nachtlokal mit einem „internationalen Starprogramm“ sollte ursprünglich den Namen „Striptease-Bar“ bekommen. Aber die Stadt lehnte diesen Namen in Hinsicht auf die benachbarte Kirche und die umliegenden Schulen ab. Die Wirtin, Frau Achenbach, übernahm wenige Jahre später das Maxim in der Michaelisstraße.
Prinzenpalais – vom Hotel zum Nachtclub
Eine bedeutende Rolle für das Nachtleben spielte auch das Prinzenpalais, heute Sitz des Landesarchives Schleswig-Holstein. 1960 zog in den Keller des alten Hotelbetriebes der Familie Flenker der „Jazz Dancing Club“, ein Zusammenschluß von 50 jazzbegeisterten Jugendlichen unter ihrem Vorsitzenden Peter Kruse. Etwa ein Jahr später löste sich dieser Club auf und der auf dem Seefliegerhorst stationierte Wehrpflichtige Gerwin Schroeder, der schon in Hamburg Erfahrungen in der Jugendarbeit gesammelt hatte, gründete mit einer Gruppe Jugendlicher den „Jugendclub 60“.
Im Keller des Prinzenpalais tauschten sich die Jugendlichen aus, machten Musik, feierten und gaben auch kleine Konzerte. Bei Veranstaltungen waren die Clubräume völlig überfüllt, mehrfach durchgeführte Polizeikontrollen bemängelten diesen Zustand. Im Laufe der Jahre ging es regelrecht bergab mit diesem Jugendclub, in den 70er Jahren war es nur noch eine „Kifferhöhle“, so erinnert sich ein Besucher.
Auch im Obergeschoß änderte sich das Publikum, Ende der 60er Jahre wurden in dem Räumlichkeiten ein Nachtclub sowie eine Spielhalle eingerichtet. In den folgenden Jahren gab es im Nachtclub auch Striptease-Aufführungen, ebenso wurden Schmalfilme „mit Striptease“ vorgeführt. Stadtbekannt war der Türsteher des Prinzenpalais,Walter Murphy. Der dunkelhäutige Murphy kam als Soldat nach Schleswig und gehörte zum Personal der US-Kurzwellen-DF-Station (Direction Finding) nahe Neuberend. Murphy sorgte nicht nur für Ordnung im Nachtclub und der Spielhalle, sondern war auch Filmvorführer für die Sex-Filmchen. 1981 wurde das Land Schleswig-Holstein Eigentümer des Prinzenpalais und damit endete auch das Nachtleben in diesem Haus.
La Romantica und der Große Baumhof
Wenn über Kneipen und Nachtleben berichtet wird, spielt der Gallberg ein bedeutende Rolle. Hier befanden sich Kneipe an Kneipe, der Große Baumhof sowie das La Romantica, aus dem später die Kneipe Altstadt hervorging, der Olle Kotten, die Gallberg Klause, der Deutsche Keller, die Bauernschänke, das Old Forester um nur einige zu nennen.
Der Große Baumhof, Gaststätte, Tanzlokal, Veranstaltungshaus und zeitweise mit den Baumhoflichtspielen (Bauli) auch Kino, passte sich in den 60er Jahren auch den Bedürfnissen der Zeit an. Nachdem im Baumhof die Nachtbar „Moulin Rouge“ eingerichtet wurde, trafen hier die Gäste erstmals im Stadtgebiet auf eine Oben-Ohne-Bedienung. An die Striptease-Shows, wie beispielsweise „Tonga im Schaumbad“ und viele andere Non-Stop-Strip-Shows, die täglich von 20 Uhr bis vier Uhr morgens stattfanden, erinnern sich noch heute viele ältere Schleswiger. Das Ende des Großen Baumhofes wurde eingeläutet, nachdem der Wirt Radi auf eine Einlasskontrolle verzichtete, um mehr Publikum zu erreichen. Nun trafen sich dort überwiegend die Besucher, die stark dem Alkohol zugeneigt waren, die seriösen Gäste blieben nach und nach fern.
Hier die Speisekarte von Radi´s Altstadt:
Eine weitere Nachtbar wurde Anfang der
70er Jahre in dem Haus Gallberg 2 eingerichtet – das „La
Romantica“ der Wirtin Rosita Voss. Einige Jahre später wurde im
rückwärtigen Bereich der Bar auch ein Bordell eröffnet – die
„Sexy Bar“. Diese Bar sollte urprünglich „Sexy Herren Bar“
heißen, doch die Stadt lehnte den Namen ab mit der Begründung, dass
er die öffentliche Ordnung gefährde, da der Name den Eindruck
vermitteln könnte, in der Bar halten sich nur Herren (Transvestiten)
auf.
Nachdem der Vielen noch bekannte Wirt Radi das „La
Romantica“ Ende der 70er Jahre übernommen hatte, gestaltete er den
Nachtclub zu einer Gaststätte um, der „Altstadt“. Seine Frau
Regine betrieb im hinteren Gebäudeteil den „Altstadtgrill“. Die
Sexy Bar wurde Mitte der 80er Jahre geschlossen, es erfolgte ein
Umbau der Räumlichkeiten und die Gaststätte „Zur Tränke“ zog
dort ein. Im Jahr 2001 änderte Radi den Namen der „Altstadt“ in
„Old Rascha“, wenige Jahre später wurde der Betrieb geschlossen.
Wer die Kneipen am Gallberg aufsuchte, traf früher oder später auch auf Erwin mit dem Schifferklavier. Wenn es an Stimmung fehlte, wurde Erwin geholt, der in der Nachbarschaft wohnte. Er lauschte kurz zu den Takten der Musicbox und spielte sich dann mit seiner Quetschkommode ein, obwohl er nicht eine Note lesen konnte.
Auch die erste Disco der Stadt eröffnete am Gallberg. Aus der alten Gaststätte wurde 1965 die „Kupferkanne“, eine Kneipe mit einer Tanzfläche, die drei Jahre später in das „Old Forester“ umbenannt wurde.
Kultstätte Ponderosa
Zwei Jahre später standen den Jugendlichen eine weitere Discothek zur Verfügung. Im ehemaligen „Konagels Gasthof“ in der Flensburger Straße eröffnete die legendäre „Ponderosa“, die bis Mitte der 70er Jahre bestand. Im Januar 1966 übernahm Frank Behrendt die Gaststätte „Zum Holstenbräu“ und baute diese zur Disco mit einer Einrichtung im Western-Stil, daher auch der Name „Ponderosa“, um. Anfangs gab es noch eine Gesichtskontrolle, wer an der Tür klingelte wurde durch ein Guckloch in der Tür gemustert und wenn es keine Bedenken gab, hineingelassen. Das Musikprogramm war breit gefächert, sogar damals wurden schon Oldies gepielt. Ärger gab es, als Behrendt Bier-Untersetzer in Gestalt einer 1-US-Dollarnote mit der Beschriftung Ponderosa drucken ließ. Ein Gast zeigte ihn an wegen der Herstellung „falschgeldähnlicher Drucksachen“. Die Polizei führte eine Hausdurchsuchung durch, die besagten Bieruntersetzer wurden beschlagnahmt und die Disco blieb für einige Tage geschlossen.
Galerie Ponderosa
Über das beschauliche Schleswiger Nachtleben, die Gaststätten und Kneipen, Tanzlokale sowie Discotheken könnten noch mehr geschrieben werden. Dieser Bericht endet jedoch an dieser Stelle mit einer kleinen Anekdote, die sich vor einigen Jahrzehnten am Gallberg ereignet hat. Ein ehemaliger Briefträger, zu dessen Bereich auch der Gallberg gehörte, wurde beim Zustellen der Post von den Wirten recht häufig zu einem Kurzen eingeladen. Eines Tages „versackte“ der Briefzusteller in einer Kneipe und es kam ihm alkoholbedingt in den Sinn, den unteren Gallberg absperren zu müssen. Als Uniformträger und Amtsperson stellte er sich auf die Straße und lenkte den Verkehr in die Klosterhofer Straße um. Die Autofahrer folgten brav der Umleitung des Briefträgers, er trug ja schließlich eine Uniform.