Meine Jugendjahre in Schleswig von 1946 bis 1953
aufgezeichnet von Widolf Wichmann
Die Vorgeschichte
Wir, die Hamburger Familie Wichmann wohnten von 1939 bis 1944 in Rostock in Mecklenburg. Mein Vater war von dort seit 1940 zur Wehrmacht eingezogen; meine Mutter und ich ließen uns 1945 nach Waren/ Müritz evakuieren.
Auf Anraten meines Vaters begaben wir uns angesichts der anrückenden Front im Februar 1945 in die Obhut meiner Großeltern Gabeler nach Kiel. In Kiel kamen wir „vom Regen in die Traufe“.. die Bombenangriffe wurden immer heftiger. Mit viel Glück blieb die Wohnung von Oma und Opa in der Gravelottestraße 12 erhalten!
Ende April 1945 sorgte Opa Gabeler dafür, dass wir Kiel mit dem nötigsten Handgepäck verließen und aufs Land zum Gastwirt Thomas Thomsen nach Wester-Ohrstedt zogen. Auf der Fahrt dorthin (die Züge fuhren nur noch dreimal wöchentlich) hatten wir die erste kurze aber intensive Begegnung mit Schleswig. Wegen eines Fliegerbeschusses stoppte der Zug im Busdorfer Einschnitt vor dem Schleswiger Bahnhof und wir fanden oben bei Bewohnern kurzzeitigen Unterschlupf.
In Wester-Ohrstedt erlebten wir das Kriegsende. Im Juni 1945 war dann die zweite Begegnung mit Schleswig bei der Rückfahrt nach Kiel auf der offenen vollgepferchten Ladefläche eines LKW die Flensburger Straße hinunter.
Vom Landwirtschaftlichen Haus zum Lollfuss
Ende 1945 übernahm mein bei der „Schleswig-Holsteinischen Landesbrandkasse“ angestellter Großvater Otto Gabeler das Kommissariat Schleswig vom „nazibelasteten“ Vorgänger Zerrahn ( dem Vater meines Fast-Namensvetter Wido Zerrahn). Opa wurde mit den gesamten Brandkassenutensilien im Hotel „Landwirtschaftliches Haus“ bei Thomas Hansen im Gallberg einquartiert.
Wir besuchte ihn dort mit einer nachkriegsbedingten Fahrmöglichkeit von Kiel nach Schleswig. Die Bediensteten der von Schleswig nach Kiel verlagerten Regierung wurden mit Bussen morgens von Schleswig nach Kiel gebracht und abends zurück. Die entgegenläufigen Leerfahrten wurden von Eingeweihten genutzt.
Meine Mutter Marta (Daddy) Wichmann stand ihrem Vater bald als Bürokraft zur Seite und wurde als Untermieterin bei Matthiessen in der St.Jürgener Straße 38 untergebracht. Opa Gabelers Zeit als Kommissar fand Anfang 1946 unter einem Vorwand ein schnelles Ende; das Amt ging auf den Politiker Johann Vorbrook über, der mitsamt dem Büromobiliar in der Moltkestraße Quartier bezog. Meine Mutter blieb mangels anderer Alternative zunächst als Bürokraft bei Vorbrook.
Im Herbst 1945 hatte uns noch in Kiel die traurige Nachricht erreicht, dass mein Vater in Berlin an den Folgen einer in den letzten Kriegstagen erlittenen Verwundung verstorben war. So war meine Mutti mit mir alleingestellt.
Ich wurde im Oktober 1945 zunächst in Kiel in die „Admiral-Graf-Spee-Schule“ (heute: Humboldtschule) wieder eingeschult, konnte aber auf Dauer nicht bei Oma Gabeler in Kiel bleiben. Meiner Mutter gelang es, mit örtlicher Beziehung beim Tischlermeister Eduard Hilbig im kleinen bis dahin als Sarglager dienenden Häuschen Lollfuß 96 b eine Wohnung zu finden.
Mit von der Partie war Daddys vom Kriegsende ebenfalls nach Schleswig verschlagener Bruder (mein Onkel Wolfgang Gabeler). Oben im Haus wurde die aus Berlin stammende Familie Lipp einquartiert .
Mit der (in Reichsmark ausgezahlten) Lebensversicherung meines Vaters wurde das Häuschen hergerichtet. Mein Mutti verstand mit dem ihr eigenen Geschick eine wohnliche Einrichtung zu schaffen.
Gleichwohl war manches doch recht primitiv. Wasser gab es nur aus der Pumpe in der Waschküche auf dem Hof, das Klo (das wir mit den Leuten der Tischlerei teilen mussten) war über den Hof. Nachts rumpelte noch der mit 1 PS bespannte „Eimerwagen“ durch den Lollfuß (die Fenster waren dann klugerweise zu schließen.)
Mein Einzug in den Lollfuß 96b war am 1. April 1946. Danach begannen für mich alles in allem sieben schöne, erlebnisreiche Jugendjahre. Die nähere Umgebung im oberen Lollfuß wurde mir schnell vertraut.
Im gegenüberliegenden Lebensmittelgeschäft von Schneekloth fand Mutti eine aushilfsweise Tätigkeit zur Buchführung. Lecker waren die Cremeschnitten vom Bäcker Jürgensen gegenüber. Und bei Mackrott gab es alles, was der Haushalt so brauchte. Das Metrokino rechts vom Hotel Stadt Hamburg durfte ich bald alleine besuchen.(den Eintrittspreis spendierte ein alter Bekannter meiner Mutti. Warum wohl..?)
Meine Schleswiger Schuljahre
Von der Quinta 1946 bis zur Unterprima 1953 besuchte ich dann die Schleswiger Domschule. Ab Quarta begleitete uns dann Dr. Walter Beecken als beliebter Klassenlehrer.
Nebenbei erzählt – Die ersten Jahre lebte ja Onkel Wolfgang Gabeler bei uns im Lollfuß. Seinen Beruf als Kriminalkommissar konnte er ja noch nicht wieder ausüben, so fuhr er als Gemüseaufkäufer für die Firma Schnittger über Land. Ich durfte schon mal hinten auf dem Motorrad sitzen bei der Heimfahrt auf Schleichwegen mit der verbotenen Milchkanne auf meinem schwachen Schoß. Einmal wollte Wolfgang ebenfalls unerlaubt mit einigen Kompanen Schnaps im Waschkessel brennen – es kam aber nur eine Art süßer Brei heraus.
Onkel Wolfgang verdankten wir unsere Beziehung zum Bauern Jürgen Heide in Klein Bennebek; dort verbrachte ich schon mal Ferientage auf dem Dorf. Ansonsten war ich in den Ferien – wie schon immer als Kind schon von Hamburg und Rostock aus – bei Oma und Opa in Kiel oder bei den Großtanten- und Onkel in Hamburg- Kirchsteinbek. Die Reise dorthin war in den ersten Schleswiger Jahren zu „Reichsmarkzeiten“ schon schwierig; nach Kiel fuhr u.a. zweimal täglich der Busunternehmer Kirchberg.
Für eine pannenreiche Mitfahrt schwänzte ich sogar mal die Schule. Nach Hamburg durften wir schon mal aufgrund guter Beziehungen meiner Mutter zu Johannis Wriedt mit einem seiner Busse (Schleimöwe oder Schleiperle) mitfahren.
Nach Onkel Wolfgangs Wegzug (er zog mit seiner neuen Frau zum damaligen Lornsenplatz) war etwas mehr Platz für uns im Lollfuß 96b. Ich bekam den Flur hinter der verschlossenen ehemaligen Eingangstür als Schlafplatz und durfte mir im Zwischenraum von der Küche zur Wohnstube eine Eisenbahnanlage aufbauen. Die Märklinlok kaufte ich 1950 von meinem Konfirmationsgeld bei einem Besuch in Hamburg (…in Schleswig gab es die damals noch nicht zu kaufen, die erste Zuggarnitur besitze ich heute noch).
1950 wurde ich in der alten (nicht mehr existierenden) Michaeliskirche konfirmiert. Konfirmandenunterricht fand bei Pastor Wulf im alten Pastorat am Stadtweg statt. Man beachte meinen zweiten Vornamen „Friedrich“.
1949 zogen die Großeltern Gabeler von Kiel nach Schleswig in den Stadtweg 86 um (lag praktischerweise neben dem Pastorat. Beide Häuser mussten später dem Bau des neuen Gemeindezentrum weichen). Opa Gabeler zog dort auf seine alten Tage eine Handelsagentur auf und vertrieb allerlei Dinge; das Ganze ging allerdings bald in einem Chaos unter. Und Oma und Opa zogen Anfang der 50iger Jahre wieder nach Kiel zurück.
Leider fröhnte Opa der Leidenschaft „Pferdewetten“.. und in Schleswig gab es kein Wettbüro, da kam ihm der Rückzug nach Kiel zugute – Oma allerdings nicht!
Die Schuljahre schritten voran – wir waren in der Obertertia angekommen.
Dr. Beecken animierte uns zu 1950 unserem ersten Klassenfest in der „Stampfmühle“. Die Frage bei mir war, wo nehme ich eine Partnerin her? Mutti und ihre Bekannte Sophie I. vom Kleinziegelhof „verbändelten“ mich mit Tante Sophies Nichte Christa W. Das war nun der Beginn einer heißen Jugendliebe, die auch zunächst 1953 meinen Wegzug aus Schleswig überdauerte. (…die abendliche „Knutschstrecke zwischen Kleinziegelhof und Stampfmühle wird nicht verraten)
Ich war nur ein schlechter Sportler. Animiert durch meinen Kinderarzt Dr. Alslev (dem Vorsitzenden des Sportvereins „Schleswig 06“) besuchte ich die Fussballspiele von „06“. |
Mit der Oberstufe ab Untersekunda übernahm Dr. Friedrich (Fiete) Ley die Klasse als Klassenlehrer.
Meine Erinnerungen gehen auch an die Lehrer Diesner (Mathematik), Dr. Witthinrich und Dr. Illig (Latein), dessen Unterricht wir fürchteten und ihm einmal einer Doppelstunde durch Schwänzen aus dem Weg gingen – was uns Nachsitzen und Strafarbeit einbrachte.
Meine Schleswiger Schulzeit ging mit der Unterprima 1953 zu Ende. Meine Mutter hatte 1952 ihren Beruf in Hamburg wieder aufgenommen. Oma Gabeler betreute mich in Schleswig, das war natürlich kein Dauerzustand, so dass wir 1953 nach Hamburg in die Wandsbeker Marktstraße 43 umzogen. Das Abitur machte ich dann 1954 an der Kirchenpauerschule in Hamburg-Hamm. Der Wechsel von der beschaulichen Kleinstadt Schleswig in die lebendige Großstadt war für mich zunächst faszinierend.
Die Domschule vermisste ich eigentlich nicht. Enge Freunde hatte ich in der Klasse nicht. Die Namen meiner Mitschüler sind mir nicht alle im Gedächtnis geblieben.
Angenehme Erinnerungen habe ich an Jürgen Miethke (den späteren Sparkassenpräsidenten), Jens Otzen (den Apotheker), an das Freundespaar Norbert? Kolberg und Peter Jipp, an Hermann Ehrich (den späteren Richter am OLG), Ulrich Frase, ?Sievers aus Gr.Rheide, an Jan Meyen aus dem Thyssenweg (der mich im Krankheitsfall brav mit Schularbeiten versorgte) und an Hartwig Theune (den Sohn des Direktors, mit dem ich zuletzt noch am meisten Kontakt hatte, was mich öfter in die Direktorenwohnung im alten Anbau der Domschule führte).
Der Nachklang:
Nach unserem Umzug nach Hamburg war ich zunächst weiter mit Christa verbunden und war zu Gast im Kleinziegelhof. Danach war ich mit meiner späteren Ehefrau bzw. mit meiner Mutter bis zu ihrem Tod 1988 nur noch sporadisch in Schleswig, danach zuletzt zur Landesgartenschau 2008. Dann war Gelegenheit, die alten Stätten der Jugend aufzusuchen und Veränderungen festzustellen.
Zu den ehem. Klassenkameraden hatte ich keinen Kontakt mehr. Mein Interesse an Schleswig besteht aber nach wie vor und wird durch die „Alte Schleihalle“ von Sönke Hansen, das „Virtuelle Klassentreffen“ von Gerd Tams und die Facebookseite der Schleswiger Gruppe gestillt.
Widolf Wichmann, April 2013