Da ich von einer älteren Schleswigerin einige Fotos von dem Berg´schen Anwesen, das bis 1973 auf dem Öhr gestanden hat, bekommen habe, nehme ich diese Bilder zum Anlass, eine kurze Zusammenstellung über die Geschichte dieser Landzunge zu schreiben, soweit die Quellenlage es zulässt.
Die Schreibweise des Namens Öhr hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, die mittelalterliche Bezeichnung lautete “Oerdt”, später änderte sich der Name in “Oer”, Oehr”, bzw. “Öhr”. Dieser Begriff stammt aus dem Dänischen und bezeichnet eine kleine Halbinsel und ist das sprachliche Gegenstück zu dem im Schleigebiet gebräuchlichen Begriff “Noor”. Mit dem Bau der Umgehungsstraße (Europastraße 3, E3) ab November 1957 wurde das Öhr und seine Umgebung mit dem Tegelnoor und der Otternkuhle radikal verändert.
Dieses Gelände am Schleiufer trug in alter Zeit den Namen das “hillige Oehr” (“heilige Halbinsel”). Diese Namensgebung soll auf eine sagenhafte Überlieferung zurück zu führen sein, demnach hier “an einer klaren, stark sprudelnden Quelle der Bischof des Nordens, Ansgar, als er 826 von Ingelheim her unter königlichem Schutz hier seine Missionsarbeit begann, zuerst getauft haben soll.”
Die Geschichte des Öhr ist eng mit Schloß Gottorf verbunden und wird erstmal im Jahr 1654 erwähnt. Herzog Friedrich III. genehmigte seinerzeit, dass das Öhr, eine etwa 11 Hektar große Landzunge, dem Gottorfer Maler, Kammerdiener und Bauinspektor Otto Jageteuffel in Erbpacht überlassen wurde. In seiner Funktion als Bauinspektor leitete Jageteuffel u.a. den Bau des Gottorfer Globushauses im Neuwerk. Weiterhin war Jageteuffel Mitglied der Gesandtschaft, die 1639 aus Persien zurückkehrte.
Nach dem Tod Jageteuffels verkaufte seine Witwe das landschaftlich schön gelegene Grundstück für 320 Reichsthaler im Jahr 1668 an den herzoglichen Kammerdiener Marcus Thomsen. Thomsen´s Kreditoren verkauften im November 1728 die Ländereien an den “deputierten Bürger und Chirurgo zu Schleswig” Heinrich Lötdke, der sie “samt den dazu gehörigen Wege und Einfahrt zwischen Claus Storm zur rechten und Claus Friedrich Saart zur linken Hand gelegenen Häusern für 910 Reichsthaler” erwarb.
Im Jahr 1751 wird der Erbpächter der Gottorfer Wassermühle, Christian Detlef Fulling genannt, 1762 wurde der Bürger uns Schlachter Johann Hinrich Hoffmann Eigentümer des Öhrs. Hoffmanns Erben verkauften diesen Besitz 1781 an den Kaufmann Peter Petersen. Aus Petersens Konkurs erwarb dann 1784 der Gastwirt Johann Hinrich Christian Carlsen und der Kaufmann Friedrich Johann Bogislavs die Öhr-Ländereien.
Im Jahr 1793 wurde der sehr vermögende Kammerherr und “Cavallerie-Obrist- Lieutnant” Frederik Graf von Ahlefeld-Laurvig (1760-1832) Eigentümer der Öhr-Ländereien. Der Graf war Begründer des Schloßtheaters und förderte mit eigenen Mitteln großzügig alle kulturellen Bestrebungen am Gottorfer Hof und in der Stadt. Auf dem bisher landwirtschaftlich genutzten Gebiet auf dem Öhr ließ von Ahlefeld-Laurvig einen Landsitz errichten, der nahezu unverändert bis 1973 bestand. Weitere Besitzer waren von 1802 bis 1808 der Generalmajor Bernhard Otto von Hedemann un der Kammerjunker und Major Johann Georg Christian von Hedemann. Die Hedemann´schen Erben verkauften 1839 das Oer mit dem “Freihaus mit neun eisernen Öfen und zwei Wandspiegeln, zwei Nebengebäuden, Hofraum, Garten und Begräbnisplatz auf dem auf dem Friedrichsberger Kirchhof” für für 6678 Rthl. 16 Schilling an den Regierungsrat Lüders.
Der Landsitz ging 1855 in den Besitz von Claus Andersen aus Südensee über, Andersen war u.a. Eigentümer der Schaalbyer Mühle. Der Kaufpreis betrug 16400 Thaler Reichsmünze. Nächster Eigentümer wurde Hinrich Friedrich Frahm zu Christiansholm im Jahr 1862. Für 38000 schleswig-holsteinische Kurantmark erwarb Nicolai Adam Goos, Stadtrat und Particulier, 1866 von Andersen das Anwesen auf dem Öhr. Goos erlebte auf dem Öhr die Sturmflut am 13.November 1872, die auch die Gebäude auf dem Öhr bedrohte. Auf der Wiese lag noch lange nach dem Abfluss des Hochwassers das große Schwimmfloß der Militärbadeanstalt, das von den Fluten herüber gespült worden war. Nach Goos wird der Rentier Heinrich Tüxen als Eigentümer genannt.
Von Tüxen erwarb der Mühlenbesitzer und Landwirt Wilhelm Berg den Landsitz auf dem Öhr. Berg war ein welterfahrener und weitgereister Mann, der Amerika, England, die Krim und den Kaukasus gesehen hatte. Zudem arbeitete Berg eine Reihe von Jahren als Getreidekaufmann in Odessa. Nun war Berg, der Sohn eines Schiffseigners und Unternehmers aus Kappeln, Eigentümer des Mühlenbetriebes Sahr & Kähler in der Friedrichstraße.
Berg ließ auf eigene Kosten die Innenschlei durch einen Staatstbagger vertiefen, damit auch größere Frachtsegler die Schlei passieren konnten um in der Bucht am Öhr anzulegen und zu löschen. Bei genügendem Wasserstand der Schlei war es sogar möglich, dass gelegentlich ein Dampfer der Schleischiffahrt Frachtsegelschiffe in die Friedrichsberger Bucht hineinschleppen konnte.
Nachdem Berg verstarb, beauftragte die Berg´sche Erbengemeinschaft den den Bankdirektor Theodor Bannier den Besitz an die Stadt Schleswig zu veräußern. Die Stadt plante bereits 1972, auf dem Grundstück des alten Landsitzes ein Altenheim für 100 Personen und weiteren 60 Pflegeplätzen zu errichten. Die Kosten wurden mit 8,5 Millionen DM beziffert. Der Abbruch des Berg´schen Anwesens erfolgte im Jahr 1973.
Die Adresse des Landsitzes lautete in alter Zeit “Friedrichsberg VIII.Quartier Nr.287”, später lag das Haus am “Ör 1”, bzw. Oerweg. Dieser wurde 1911 in Georg-Pfingsten-Weg umbenannt, nach dem Begründer der Taubstummenanstalt Prof. Georg W. Pfingsten, die auf dem Grund der heutigen Bugenhagenschule gestanden hat.
Bewohner laut Adressbuch von 1878 (Friedrichsberg VIII 287)
Nicolai Adam Goos, Stadtrath und Particulier
Bewohner laut Adressbuch von 1903 (Ör 1):
H. Tüxen, Rentier, Ör 1
Bewohner laut Adressbuch von 1921 (Georg-Pfingsten-Weg 2):
W. Berg, Mühlenbesitzer und Landwirt
Louise Petersen, WW.
Chr. Marxen, Arbeiter
Bewohner laut Adressbuch von 1934 (Georg-Pfingsten-Weg 2):
W. Berg, Mühlenbesitzer
Gertrud Bandle, Stütze
Bewohner laut Adressbuch 1950 (Georg-Pfingsten-Weg 2):
Theodor Bannier, Bankdirektor
Laura Iwanow, Ehefrau
Ursula Katschke, Stenotypistin
Martha Klabunde
Frieda Ley, Ehefrau
Friedrich Ley, Studienrat
Friedrich Liedtke, Angestellter
Franz-Edgar Schoppmeier, Konserventechniker
Marg. Schoppmeier, Witwe
Hildegard Schott, Witwe
Galerie
Quellen:
Heinrich Philippsen – Alt-Schleswig
H. Kellebrenz – Schleswig in der Gottorfer Zeit 1544-1711
J. Skierka – Schleswig in der Statthelterzeit 1711-1836
SN 13.08.1943, 18.01.1972
Stand: 26.Juli 2013