Hinweis: Dieser Artikel vermittelt einen kleinen Eindruck von der Schneekatastrophe 1978/79. Es ist unmöglich, an dieser Stelle alle Ereignisse, die sich zum Jahreswechsel 78/79 zugetragen haben, wiederzugeben. Alle Angaben (mit Ausnahme der persönlichen Erinnerungen und Zeitzeugenberichten) wurden sorgfältig recherchiert.
Die Wetterlage
Es regnete den ganzen Tag über, was im Norden nicht ungewöhnlich war und schon gar keinen Grund zur Besorgnis lieferte. Auch der zunehmende Oststurm, der mit Windstärken von 8 bis 10 Bft über das Land fegte und in Böen Orkanstärke mit über 118 Km/H erreichte, war, wie das Winterhochwasser, durchaus normal für den norddeutschen Winter.
Alles wäre fast wie in jedem Jahr gewesen, wenn nicht am Donnerstags, dem 28. Dezember 1978, die Temperaturen stetig auf bis zu minus 10 Grad gefallen wären. Dadurch ging der starke Regen in einen massiven, dichten Schneefall über, der eine Schneekastrophe im Norden Schleswig-Holsteins auslöste, die bis heute unvergessen ist.
Die Meteorologen sagten zwar Schneefall voraus, aber mit diesen Schneemassen hatte keiner gerechnet. Auslöser dieser ungewöhnlichen Wetterlage war kalte Polarluft, die über Westeuropa auf subtropische Luftmassen traf. Der Zusammenprall dieser warmen und kalten Luftschichten hatte den starken Schneefall zu Folge. Der starke Sturm aus Nordost türmte den Schnee zu meterhohen Verwehungen auf und verursachte zudem ein Hochwasser.
Der Kreis Schleswig-Flensburg wurde von „der schwersten Winter-Katastrophe seit Jahrzehnten“, wie die Schleswiger Nachrichten am 2. Januar 1979 berichteten, besonders hart getroffen. Zahlreiche Dörfer und Einzelgehöfte waren tagelang von der Außenwelt abgeschnitten, auf der A7 und anderen Straßen schneiten die Autofahrer in ihren Fahrzeugen ein, Strom- und Telefonnetz fielen zeitweise komplett aus. Bundesbahn und Kreisbahn mussten aufgrund der starken Verwehungen den Betrieb einstellen
Persönliche Erinnerungen
Ich selbst erlebte den Katastrophenwinter 1978/79 als Siebenjähriger in Schleswig und kann mich nur noch an einzelne Ereignisse erinnern. Von den Sorgen der Erwachsenen und der schwierigen Versorgung mit Lebensmitteln habe ich nichts mitbekommen, zumindest habe ich keine Erinnerung daran. Aber die Schneemassen sind bis heute unvergessen.
Der Seekamp war komplett zugeschneit, zusammen mit den Nachbarn konnte gemeinschaftlich zunächst ein zunächst schmaler Pfad in der Straßenmitte gegraben wurden, um dann Wege zu den einzelnen Häusern zu schaffen. Die wichtigsten Werkzeuge waren Spaten und Schaufeln.
Bei einem Nachbarn war der Eingang von einer haushohen Schneewehe versperrt, der in nachbarschaftlicher Zusammenarbeit freigeschaufelt wurde. Mit meiner kleinen Kinderschaufel habe ich natürlich immer eifrig mitgeholfen.
Wir Kinder durften nicht in den großen Schneewehen spielen, was uns aber nicht davon abhielt. Schließlich gab es endlich einmal richtig viel Schnee, das musste ausgenutzt werden!
Eine vermeintliche Schneewehe, auf die wir Kinder geklettert sind, stellte sich im Verlauf weiterer Schneeräumaktionen als ein heller VW-Käfer heraus. Das Gewicht der Schneemassen und womöglich auch das Herumgetrampel von uns Kindern hatten leider verbeultes Blech hinterlassen. Beim Versuch, das Auto von der Straße an die Seite zu tragen, um Platz für den Radlader der Bundeswehr zu machen, schnitt mein Vater sich die Hände in dem scharfkantigen Blech ein. Glücklicherweise waren unsere Nachbarn Ärzte, die ihn gut versorgten. Leider war auch die Zufahrt zu deren Garage komplett zugeschneit und so haben auch hier viele Nachbarn gemeinschaftlich die Zufahrt freigeschaufelt, damit die Ärzte, nach Räumung der Straße, ins Krankenhaus und zu anderen Patienten fahren konnten.
Radlader und Schneefräsen räumten in diesem Winter die Straßen in St.Jürgen, ein einmaliger Anblick. Der Radlader häufte am Seekamp einen riesigen Schneeberg an, den wir Kinder nicht betreten durften. An das unzählige Hinaufklettern und Herunterrutschen erinnere ich mich noch heute. Beim Spaziergang in die Stadt zog mein Vater mich auf dem Schlitten, für private Fahrzeuge galt ohnehin ein Fahrverbot und es herrschte eine ungewöhnliche Stille in der Stadt.
Die Lage in Stadt und Kreis
Dass die Schneemassen zum Jahreswechsel 1978/79 viele Menschen in eine bedrohliche Lage brachte, war uns Kindern natürlich nicht bewusst. Wir genossen das Spielen im Schnee. In der Stadt kam das öffentliche Leben nach dem großen Schneefall zum Erliegen. Schleistraße, Lollfuß, Flensburger Straße sowie viele weitere Haupt- und Nebenstraßen konnten nur noch mit schwerem Gerät befahren werden. Viele PKW´s verschwanden unter der Verwehungen.
Am Freitagmorgen, als sich das ganze Ausmaß zeigte, löste die Bundeswehr für den Bereich des Verteidigungsbezirkskommandos 11, das für die Stadt Flensburg und die Kreise Schleswig-Flensburg und Nordfriesland zuständig war, die Alamrstufe „Sturmvogel II“ aus. Damit musste die Hälfte aller Soldaten in den Kasernen bleiben.
Wenige Stunden später, um 11.28 Uhr löste als erster Bereich der Kreis Schleswig-Flensburg Katastrophenalarm aus. Viele Dörfern und Einzelgehöfte hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Strom mehr. Glücklich waren diejenigen, die genügend Kerzen und Lebensmittelvorräte zu Hause hatten. In den Ställen verendeten viele Tiere, da Klimaanagen, Heizungen und Infrarotlampen ausfielen. Kühe mussten mit der Hand gemolken werden, eine zeitaufwendige Angelegenheit. Da die Milch nicht abgeholt werden konnte, wurde sie weggeschüttet. Nach der Katastrophe riet das Land den Bürgern, immer Vorräte im Haus zu lagern, um einige Tage überbrücken zu können.
Viele Hochspannungsleitungen und -Masten zerbarsten unter der massiven Schnee- und Eislast. Die Bundespost schaltete ihr Fernmeldenetz in Schleswig und Angeln in eine Katastrophenschaltung. Das bedeutete die Abschaltung privater Teilnehmer, damit die Rettungskräfte weiterhin untereinander kommunizieren konnten. Auch die Bundespost musste Strom sparen, da einige Vermittlungsstellen nur noch auf Batteriebetrieb liefen.
In Schleswig halfen die Soldaten des Pionierbataillon 620, die in der Kaserne „Auf der Freiheit“ stationiert waren, mit ihren Bergepanzern und anderen schweren Fahrzeugen bei der Räumung der Straßen und bei Krankentransporten. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, vom THW, DRK und anderen Hilfsorganisationen waren pausenlos im Einsatz, um die Ausnahmesituation in den Griff zu bekommen. Auf dem Sportplatz der Bruno-Lorenzen-Realschule starteten und landeten die Hubschrauber des Heeres, um Patienten und Versorgungsgüter einzufliegen.
Eine Woche nach dem großen Schneefall, am Donnerstag, dem 4. Januar 1979, berichteten die Schleswiger Nachrichten, dass sich „das Leben in Schleswig nur zögernd normalisiert“. Die Stadtverwaltung rief die Bevölkerung auf, sich um alte und kranke Menschen zu kümmern. Eine große Gefahr ging von Dachlawinen aus, Hauseigentümer wurden angehalten, diese nach Möglichkeit zu entfernen. Für die geräumten Schneemassen standen das Stadtfeld und der Hafen als Abladeort zu Verfügung, unzählige LKW´s kippten den Schnee am Hafen auf die zugefrorene Schlei.
Eltern wurden gebeten darauf zu achten, dass die Kinder nicht in den großen Schneewehen spielten. Fahrzeughalter, die ihre Auto an Haupt- und Durchgangsstraßen abgestellten hatten, sollten diese nach Möglichkeit auf die Notplätze fahren, das waren Schulhöfe, das Raschgelände sowie der DIVI-Parkplatz. Ansonsten galt weiterhin ein Fahrverbot für private Fahrzeuge.
Die Stadtwerke arbeiteten mit Hochdruck daran, eine Notlinie für Busse in Betrieb zu nehmen, diese startete am 4. Januar. Aufgrund der verlängerten Schulferien blieb auch die Schwimmhalle bis zum Ferienende am 14. Januar 1979 geschlossen.
Rund 15000 Hilfskräfte waren im Katastrophengebiet im Einsatz. Die Bundeswehr beteiligte sich mit 280 Bergungs- und Räumfahrzeugen, 270 Transportfahrzeuge und etwa 40 Hubschrauber. Der Bundesgrenzschutz setzte 10 Hubschrauber ein. Die Straßenbauverwaltung stellte 21 Schneefräsen, 333 Schneeflüge und Schneeschläudern, 225 Rad- und Raupenlader sowie 28 Planierraupen und Bagger ein. Insbesondere die Schneeflüge und- Schleudern wurden extra aus Bayern nach Schleswig-Holstein gebracht, wie auch die Schneeschleudern, die die Kreisbahn zur Freilegung ihrer Strecken einsetzte. Zahlreiche andere Räumgeräte, auch von privaten Unternehmen, sind in dieser Auftstellung nicht erfasst.
Neben der Schneeräumung hatte die Freiwillige Feuerwehr Schleswig noch eine zweite Aufgabe – das Leerpumpen von Kellern, die im Zuge des Schleihochwassers vollgelaufen waren.
Überschattet wurde die Katastrophe von tragischen Todesfällen. Am 3. Januar 1979 meldete die Schleswiger Nachrichten über bisher acht Todesopfer. Auf einer Koppel in Steinberg wurde ein 43jähriger Mann tot aufgefunden, der vermutlich im Schneetreiben die Orientierung verloren hatte.
Bei Wanderup fanden Spaziergänger neben der B200 einen erfrorenen Mann. Es stellte sich heraus, dass der 36jährige Maurer seine Eltern in Flensburg besuchte und auf dem Rückweg nach Wanderup mit dem Auto einschneite. Er versuchte zu Fuß nach Hause zu kommen und erfror auf einer Koppel.
Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg unterbrach seinen Österreich-Urlaub, um dem Krisenstab und den Sondersitzungen des Kabinetts beizuwohnen. Glück im Unglück hatte der Ministerpräsident bei einem Informationsflug zusammen mit Journalisten am Sonntag über das Katastrophengebiet. Der Hubschrauber des Heeres geriet in einen Schneesturm, „zwischen Himmel und Erde war kein Unterschied mehr“ (SN 2.1.1979). Der Hubschrauber verlor an Höhe, wurde von Böen erfasst und kräftig durchgeschüttelt. Glücklicherweise gelang es dem Piloten, eine Notlandung durchzuführen. Später brachte ein zweiter Hubschrauber den Ministerpräsidenten wohlbehalten zurück nach Kiel.
Sechs Wochen später kam der Schnee noch einmal zurück. Diesmal war jedoch ein größeres Gebiet von Niedersachsen bis Dänemark betroffen. Während der Städte glimpflich davon kamen, herrschte auf dem Land wieder Notstand. Erst Tage später normalisiert sich die Situation wieder.
Quellen:
Der große Schnee, Helmut Sethe, Schleswiger Nachrichten 2.1.79, 3.1.79, 4.1.79
Zeitzeugen und persönliche Erinnerungen
Ich bedanke mich bei allen Leserinnen und Leser, die mir in den vergangenen Jahren Fotos von der Schneekatastrophe zur Verfügung gestellt haben. Dadurch ist diese Seite erst möglich geworden.
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